«Es gibt keine Freiheit! Zählen! Jedes Sechzehntel!» Graham Johnson ist in seinem Meisterkurs gnadenlos mit dem jungen Bariton: Wer wie ein Liedermacher oder Popstar seine eigenen Lieder singe, könne sich jede Freiheit herausnehmen. Wer aber Schubert, Brahms, Wolf singe, müsse sich bewusst sein, das Kunstwerk eines andern mit Leben zu erfüllen.WERBUNG
Das war 2019. Sechs Lied-Duos hatte das damals neue Festival LiedBasel ausgewählt, die an vier Tagen Anregungen, Kritik und Ermutigung erhalten von Graham Johnson. Johnson ist ein Grandseigneur der Liedbegleiter und mag es, mit britischem Humor über Komponisten und Dichter zu referieren.
In seine Rolle schlüpft nun drei Jahre später bei der nunmehr dritten Ausgabe von LiedBasel der Schweizer Pianist Oliver Schnyder, und der in Basel lebende Tenor Daniel Behle gibt den jungen Sängerinnen und Sängern ebenfalls seine Erfahrungen weiter.
Auseinandersetzung mit der Kunstform
Alles öffentlich, vor Publikum und damit natürlich auch mit einem gewissen Showcharakter. Nicht gerade «Basel sucht den Superstar». Aber Behle kann nicht nur singen, sondern hat auch immer wieder gezeigt, dass sein hanseatischer Humor sehr treffend und unterhaltsam sein kann.
Und wenn das Motto dieses Mal «Eine schrecklich nette Familie» lautet, dann zeigt sich von Beginn weg der Anspruch des Festivals, dass hier nicht nur gesungen und gelehrt wird, sondern die Auseinandersetzung mit der Kunstform Lied vielseitig und humorvoll ist.
Und schliesslich müssen die beiden nicht nur reden und kommentieren: Schnyder und Behle lassen sich auch in einem Rezitalprogramm hören, in dem sie das delikate Dreieck Clara und Robert Schumann sowie den jüngeren und in Clara verliebten Johannes Brahms über ihre familiären und nicht so ganz familiären Emotionen in ihren Liedern sprechen lassen. Der zweite Teil ist Richard Strauss gewidmet und umfasst auch die epischen «Vier letzten Lieder».
Uraufführungen und Auftragswerke
Ein weiteres Weltklasse-Duo ist mit Ingeborg Danz und Michael Gees zu hören. Sie haben kein Programm festgelegt, «weil wir noch gar nicht wissen wollen, was wir in solchen bewegten Zeiten an diesem Abend auf dem Herzen haben werden».
Auch neue Lieder braucht die Welt, das hat sich das Festival zum Ziel gesetzt und von Anfang an Uraufführungen und Auftragswerke präsentiert. Sarah Maria Sun und Jan Philip Schulze bringen diesmal einen für LiedBasel geschriebenen Liederzyklus von Andrea Lorenzo Scartazzini zur Uraufführung.
Der Basler Komponist mit Jahrgang 1971 hat sich gerade mit seinen Arbeiten für Stimme und Oper einen international sehr guten Namen geschaffen. Sein neuer Zyklus basiert auf einer Auswahl aus den «Monster Poems» der vielseitigen deutschen Dichterin und Sprachkünstlerin Nora Gomringer.
Offenheit und Vielseitigkeit
Darüber hinaus pflegt das Festival gerne das Experiment und die Möglichkeiten für das Unerwartete. Der Sängerin Silke Gäng, dem Schriftsteller Alain Claude Sulzer und dem Pädagogen Ivo Allenspach lagen bei der Gründung explizit die Offenheit und Vielseitigkeit am Herzen.WERBUNG
«LiedLabor», «LiedSalon», «LiedOnDemand» oder «Lieducation» für das Familienkonzert mit dem Ensemble Federspielchen mögen andeuten, wohin diese Liederreisen gehen könnten. Was aber wirklich unter diesen Formaten zu hören und zu erleben sein wird, ist kaum zu beschreiben. Man muss schon dabei sein.